Nach dem Krieg

Aus Familienalbum
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Voriges Kapitel: Zwischen Studium und Krieg


[Kapitel 6 - Nach dem Krieg]


Der Krieg setzte unserer aufblühenden Praxis für sieben Jahre ein Ende. 1946 kehrte Opa heim in die armseligen Nachkriegsverhältnisse, wo es an allem fehlte, an Medikamenten, Verbandsstoff, Strom, Wärme und Essen. So kochten wir Mullbinden aus, wickelten sie auf, um sie noch einmal zu verwenden. In seinem eigenen Haus liefen ihm viele fremde Menschen über den Weg. Auf dem Herd in meiner Küche kochte eine zweite Familie. Ihn traf es wie ein schwerer Schock, woran wir uns in sieben Jahren allmählich gewöhnt hatten.
Mein Vater war 1945 der erste Oberpräsident in Hannover, noch vor Kopf. Bruce sagte meinem Vater im Sommer 1945: "Den schlimmsten Winter haben die Deutschen noch vor sich." Zerstörte Städte, Flüchtlingsströme aus dem Osten, das Darniederliegen der Versorgung. Keine Eisenbahnen, keine Feuerung, Stromsperren, kein Wasser.
Am 24. Januar 1947 wurde Susanne geboren. Wir hatten nur ein Wohnzimmer, in dem ein Kachelofen stand für Wöchnerin, Baby, Vater, drei Kinder und eine Arzthelferin. Am 24. brachte ein Patient in der Dunkelheit einen Sack geklauter Kohlen: "Ich denke, das können Sie brauchen." Meinolf sang:

Pieter Pieter pumpkineater (Kürbis)
has a wife and cannot keep her.
He puts her in the pumpkinshell
and there he kept her very well.

So hieß mein Wochenbett the pumpkinshell. Die heimkehrenden Schulkinder steckten ihre eiskalten Hände unter meine Bettdecke. Vater nahm sich Meinolf als Wärmflasche in sein Bett. Wir hatten 20° Kälte, und sie hielt bis Ende Februar an. Das Wasser aus der Heizung mußte abgelassen werden, damit es nicht einfror. Unser Milchmann Klöterjohann brachte uns jeden Morgen Ammenmilch von zwei Patientinnen, die überreichlich Milch hatten.
Susanne ist prächtig gediehen. Sie hatte nicht einen Schnupfen, nicht einmal Durchfall. Schon in der ersten Nacht ihres Lebens hat sie durchgeschlafen und ihre Mutter nicht geweckt. Schwester Gertrud, die in Scheeßel Verwandte hatte, versorgte Susanne und mich. An meinem Fußende stand die alte Kommode, auf der schon ich gewickelt worden bin. Als Schwester Gertrud Susanne abends zum ersten Mal für die Nacht wusch und in Windeln und Lure wickelte, sahen die drei Großen zu, und ich konnte mich eines Gefühls der Freude und des Glücks nicht erwehren, obwohl unsere Zukunft von dunklen Wolken verhangen war. Susanne wuchs in eine glückliche, sorglose Kindheit und Jugend hinein.
Die ausbrechenden Differenzen zwischen den Westmächten und den Russen, der Beginn des Kalten Krieges ließen es den Westalliierten, besonders den Amerikanern, ratsam erscheinen, Deutschland so schnell wie möglich wirtschaftlich gesund und zufrieden zu machen. Wer von uns hätte 1945 den Wohlstand erwartet, wie er sich unter Adenauer und Erhard entwickelte.
In vierzehn Tagen wird Susanne 40 Jahre alt. (24. I. 87) Auch heute soll Großmutter Hillebrands tröstender Ausspruch aus dem Jahre 1813 gelten:
"Iß Minölverken, nach düsse Tiden kommen annere Tiden."